Einzelfall?

Am Neujahrstag werden zwei Kinder getötet. Dringend verdächtigt, die Tat begangen zu haben, wird ihre eigene Mutter. Die Schweiz ist schockiert. „Ein Einzelfall.“ „Man konnte die Tat nicht voraussehen.“ „Der Fall weckt Erinnerungen.“ „Man muss jetzt die Untersuchungen abwarten.“ So einige Kommentare. Muss ich nun als verantwortungsbewusster Politiker mit meinen Gedanken ebenfalls warten, bis die Untersuchungen abgeschlossen sind? NEIN. Ich war bei der Gesetzgebung dabei. Jeder Parlamentarier wusste, was auf uns zukam. Rechtfertigun­gen und Ausreden lasse ich deshalb keine zu. Einmal mehr muss ich fest­hal­ten: Der Fall Flaach ist kein Einzelfall. Der Mutter wurden die Kinder gegen den Willen der Betroffenen weggenommen. Seither schrie sie nach Hilfe auf allen heute zur Verfügung stehenden Plattformen. Niemand wollte die schreiende und hilfesuchende Mutter hören. Dass jetzt die halbe Schweiz schockiert ist, wirkt wie Hohn. Während der Eintretensdebatte über die Gesamt­revision des Vormundschaftsrechts sagte Frau Bundesrätin Widmer-Schlumpf: „Ein Erwachsenenschutzrecht zu schaffen, das die Würde der betroffenen Personen wahrt und den Bedürfnissen der Praxis entspricht, ist das Ziel der Vorlage, die wir heute diskutieren.“ Der „Wille“ der Betroffenen sollte in Zukunft im Mittelpunkt stehen. Es war aber schon damals allen klar, dass die genannten Ziele mit der diskutierten Vorlage nicht erreicht werden konnten. Trotzdem stimmten am 19. Dezember 2008 191 Nationalrätinnen und Nationalräte und alle Ständeräte zu. Ich fordere deshalb mit aller Deutlichkeit: Die Untersu­chun­gen, welche nun gegen die Tatverdächtige laufen, sind vorbehaltlos gegen alle involvierten Behörden auszuweiten. Die Farce, die Behörden hätten alles Erdenkliche getan, lasse ich nicht mehr zu. Die Behörden müssen mit den gleichen Abklärungsmassnahmen, Anklagen und Strafmassen konfrontiert werden wie die Tatverdächtige(n). Mehrere hundert Dossiers belegen, dass die neuen Kinder- und Erwachsenenschutzbehörden nicht nur teurer und bürokratischer geworden sind. Sie sind auch unprofessioneller als die ehemaligen Vormund­schaftsbehörden. Schneller Handlungsbedarf sowohl auf Bundes- wie auf Kantonsebene ist angesagt. Der Fall Flaach wird beweisen können, dass wir bezüglich Rechtsstaat tatsächlich weiter sind als vor 82 Jahren. Auf den 01. August 2014 hat der Bundesrat das Bundesgesetz über die
Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen in Kraft gesetzt. Es wäre nun an der Zeit, auch Fehlverhalten und Fehlentscheide der KESB strafrechtlich zu verfolgen.

3. Januar 2015                                                Nationalrat Dr. Pirmin Schwander

 

Einzelfall?